PC3 Klausur WS 2003/2004
110 Punkte = 100%; 30 Zusatzpunkte
Kinetik einer Einladung
Sie laden 20 Freunde zum Essen ein und wollen dabei Ihre Kenntnisse aus der PC-III Vorlesung (Chemische Reaktionskinetik) anwenden. Die 20 Gäste treffen alle pünktlich um 20.00 Uhr ein, aber davor gibt es noch einiges zu tun.
1) Die Arbeit beginnt schon am Vortag. Zur Vorspeise soll es nämlich Spargelcremesuppe à la Arrhenius geben. Das Besondere an dem Rezept ist, dass durch langes Kochen aus der L-Asparaginsäure durch unimolekulare Racemisierung eine kleine Menge D-Asparaginsäure erzeugt wird, die einen etwas anderen Geschmack hat (warum?). Die Aktivierungsenergie nach Arrhenius beträgt für diese Reaktion 126,0 kJ/mol, der präexponentielle Faktor liegt bei 4,9.1010 s-1. Wie groß ist das D/L-Verhältnis nach 24,0 stündigem Kochen bei 100,0 °C? (5 Punkte)
2) Als Hauptgericht gibt es einen großen, etwa kugelförmigen Rinderbraten (2kg), in dessen Mitte Sie mit einer Spritze 10 ml Ananassaft appliziert haben. In Vorversuchen mit 250 g schweren Rindfleischstücken haben Sie festgestellt, dass der Ananassaft etwa 4 h braucht, um sich ausreichend im Fleisch zu verteilen. Wie lange sollten Sie bei dem 2 kg-Stück warten, bis eine ähnlich gute Verteilung erreicht ist? (5 Punkte)
3) Der Ananassaft verfeinert nicht nur das Aroma des Rindfleischs, sondern er enthält auch ein Enzym, das Peptidbindungen aufbricht und das Fleisch zarter macht. Nehmen Sie an, dass das Enzym eine Molmasse von 100000 g mol-1 hat und eine Wechselzahl von 105 pro Minute. Wieviel Mol Peptidbindungen kann 1 mg Enzym pro Stunde spalten, wenn die Substratkonzentration gleich der Michaeliskonstante ist? (10 Punkte)
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Während Sie dem Enzym Zeit geben, lesen Sie die Zeitung. Dort finden Sie folgende Glosse:
Die Kuh muss zahlen
Mit der Ökosteuer, so war es gedacht, soll der Deutsche für den Schaden zahlen, den sein liebstes Kind in der Ozonschicht anrichtet. Denn bei der Spritverbrennung entsteht Kohlendioxid, das der Erdhülle gar nicht gut bekommt. Dies ist das Lieblingsargument der Autogegner, wenngleich auch sie den Sommer genossen. Dabei ist nicht das Auto schuld, sondern die Kuh. Das furzende und rülpsende Rindvieh, das jede Menge Methan absondert und die Ozonschicht mit der 14fachen Aggressivität von Kohlendioxid zersetzt. Wissenschaftler haben errechnet, dass Kuh und Ochs pro Jahr 90 kg Methan produzieren - ein Rindvieh so viel Treibhausgas wie ein 75-PS-Golf auf 10000 Kilometern. Bei 14,5 Millionen Rindern, die allein hier zu Lande auf den Weiden stehen, kommen 18,3 Millionen Tonnen Kohlendioxid zusammen. Es geht also nicht darum, dass kleinere Autos gebaut werden und wir uns mit 40 PS zufrieden geben müssen. Steak oder Sechszylinder lautet die existentielle Frage. Das Vieh muss zahlen. Die nächste BSE-Epidemie kommt. Bis dahin gilt: Ökosteuer auf die Kühe!
4) Können Sie dem verwirrten Journalisten ein wenig helfen? Sie benötigen keinen Taschenrechner zum Lösen der Aufgabe. (5 Punkte)
5) Als Dessert gibt es Vanillecreme. In langwierigen Vorversuchen mit einem Gaschromatographen haben Sie festgestellt, dass das Vanillearoma (v.a. Vanillin) beim Kochen der Creme zunächst nach einer Kinetik 1. Ordnung mit einer Halbwertszeit von 5,5 min entsteht, um dann (wieder nach 1. Ordnung) mit einer Halbwertszeit von 7,8 min zu weniger aromatischen Komponenten abgebaut zu werden. Berechnen Sie die optimale Kochzeit der Vanillecreme, bei der das Vanillearoma maximiert wird. (15 Punkte)
6) Als Sie das Dessert in ihrem alten, kürzlich auf dem Flohmarkt erstandenen Kühlschrank kühl stellen wollen, bemerken Sie mit Schrecken, dass dieser nicht mehr funktioniert. Sie vermuten ein winzig kleines Loch im Kühlkreislauf. Durch dieses entweicht das Freon 22 (CHClF2, Mr=86,47 g/mol) nach außen. Um zu bestimmen, wie groß dieses Loch ist, stellen Sie den Kühlschrank in eine große Vakuumkammer und messen bei 23 °C den Druckabfall im Kühlkreislauf, der laut Bedienungsanleitung ein Volumen von 0,3 l hat. Sie stellen fest, dass der Druck bei konstanter Temperatur innerhalb von 60 min von 1,3000 bar auf 1,2980 bar abfällt. Welchen Durchmesser hat das Loch, wenn Sie Effusionsbedingungen annehmen können? Dürfen Sie hier Effusionsbedingungen annehmen? (15 Punkte)
Z1) Während Sie den Kühlschrank entsorgen, schweifen Ihre Gedanken besorgt in die Stratosphäre ab. Sobald das Freon-22 aus Ihrem Kühlschrank in einigen Jahren dort oben angekommen ist, wird es zum Abbau der Ozonschicht beitragen. Erklären Sie kurz, warum. Ein kleiner Trost ist das Wasserstoffatom im Freon 22 (warum?). Ein noch schwächerer Trost ist die Tatsache, dass das Ozon auch ganz von alleine gemäß O3 ® O2+O (k1) und weiter zu O+O3 ® 2O2 (k2) zerfällt. Bei der ersten Reaktion spielt auch die Rückreaktion O2+O® O3 (k-1) eine Rolle, bei der zweiten kann sie vernachlässigt werden. Berechnen Sie die Abbaugeschwindigkeit des Ozons näherungsweise einmal unter der Annahme, dass k-1>>k2 gilt und einmal unter der Annahme, dass umgekehrt k-1<<k2 ist. Sie dürfen dabei annehmen, dass die Ozonkonzentration von vergleichbarer Größenordnung ist wie die des Disauerstoffs. (15 Punkte)
7) Da Sie durch die Kühlschrankprobleme viel Zeit verloren haben, beschließen Sie, den Rinderbraten im Dampfkochtopf zu garen, und zwar bei 110 °C statt bei 100 °C. Um welchen Faktor wird dabei die Garzeit verkürzt, wenn die Arrhenius-Aktivierungsenergie des Garvorgangs 85 kJ/mol beträgt? (5 Punkte)
8) Sie haben Ihren Ofen auf 200 °C vorgeheizt, um etwas Blätterteiggebäck für die eintreffenden Gäste herzustellen. Wie hoch ist die wahrscheinlichste Geschwindigkeit der Sauerstoffmoleküle (16O2) im Ofen? Wie hoch ist die mittlere Geschwindigkeit? Wie viel Impuls und wie viel Energie überträgt ein solches Molekül mit mittlerer Geschwindigkeit bei einem elastischen Stoß auf das Blätterteiggebäck? Schätzen Sie grob ab, wie lange das Molekül auf der Blätterteigoberfläche verweilt, wenn es mit 30 kJ/mol physisorbiert wurde. (15 Punkte)
9) Zum Aperitiv reichen Sie destilliertes Wasser mit einem pH-Wert von 7 und einer Temperatur von 298,15 K. Sie haben in Erinnerung, dass ein Wassermolekül eine Halbwertszeit von 5,5 h hat, bevor es in Protonen und Hydroxidionen dissoziiert. Wie schnell ist demnach die bimolekulare Rekombinationsreaktion von H+ und OH- zu H2O in L mol-1 s-1? Schätzen sie anhand der Viskosität des Wassers (0,000089 Pa s) grob ab, ob die Rekombinationsreaktion diffusionskontrolliert ist. Wie groß ist die Relaxationszeit für das Autoprotolysegleichgewicht, wenn Sie das Glas Wasser im Mikrowellenherd (sehr) schnell ein wenig erhitzen? (20 Punkte)
Z2) Die Gäste sind von den kulinarischen Kostbarkeiten begeistert. Die ersten gehen aber gleich nach dem Essen klugerweise schon wieder. Um 22.30 Uhr stellen Sie die verbleibenden 10 Gäste auf eine harte Probe. Es muss getanzt werden, und zwar paarweise. Die Tanzfläche ist 10,0 m × 10,0 m groß. Jedes Tanzpaar bildet einen Kreis von 1,0 m Durchmesser und bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von 1,0 m/s in zufälliger Richtung auf der Fläche. Wie viele Zusammenstöße erleidet ein Tanzpaar pro Zeiteinheit und wie viele Zusammenstöße gibt es pro Minute insgesamt auf der Tanzfläche? (15 Punkte)
10) Um 23.30 Uhr sind noch 7 Gäste übrig, um 1.30 Uhr noch 4 und als am frühen Morgen um 6.30 Uhr die Zeitung kommt, ist immer noch einer da. Welche Ordnung hat das zugehörige Zeitgesetz? Fertigen Sie eine geeignete graphische Auftragung an. Bestimmen Sie die Geschwindigkeitskonstante in einer geeigneten Einheit. (15 Punkte)
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Zum Frühstück werfen Sie den noch verbleibenden Gast hinaus, da Sie noch eine Stunde Schlaf brauchen, bevor die PC-III Klausur beginnt. Viel Erfolg!